Exodus

Im Jahre 2000 unterbreitete uns der Direktor des Museu d’Història de Catalunya in Barcelona, Jaume Sobrequés, den Vorschlag, eine Ausstellung in den Eingangsräumen des Museums durchzuführen. Ausgewählt wurden acht Künstler aus der Bildhauerei und Malerei: Alfonso Alzamora, Manel Álvarez, Jaume García Antón, José M. Guerrero Medina, Josep Guinovart, Jose Luis Pascual, Enric Pladevall und Albert de Udaeta. Die Ausstellung stand unter dem Thema „Batecs de la Memòria a 70 anys de la Segona República“ (Denkanstösse 70 Jahre nach der zweiten Republik). Es wurde ein hochwertiger Katalog herausgegeben mit Texten von Jaume Sobrequés i Callicó, Josep Fontana i Lázaro, Daniel Giralt-Miracle und Manuel Vázquez Montalbán.

Was meine Person betrifft, stellte ich mich der Thematik „Rückzug ins Exil“, ausgehend von den realen Dokumenten, die wir bei anderen Gelegenheiten bereits oft gesehen hatten, allerdings versuchte ich einen Schwerpunkt zu setzen als emotionaler Augenzeuge bei erster Betrachtung. Das Ergebnis waren acht Werke, zwei großformatige, das erste in der Größe 250 x 400 cm als eine Komposition innerhalb einer leeren Landschaft, fast mondartig, wo sich eine Menschenschlange, die sich ins Unendliche verliert, in eine nicht vorhandene Zukunft begibt. Die Stille ist ein wesentlicher Teil dieses Werkes. Das zweite Bild zeigt eine weitere Schlange aus Männern und Frauen, unter ihnen Zivilpersonen und Militärs, ausgerüstet mit ihren persönlichen Habseligkeiten, die sich auf einem schmerzlichen Marsch befinden, von der Fahrerkabine eines LKW aus betrachtet. Die anderen sechs Werke hingegen zeigen Szenen von Menschenansammlungen an der Grenze.

Bei der Planung dieser Ausstellung kontaktierte mich Serge Barba, um meine Zusammenarbeit zu erbeten, in diesem Fall meine Anwesenheit; die Bilder wurden beim Museo de Historia (Museum der Geschichte) angefordert, das Museum hatte sie über die Staatsregierung der Generalitat de Catalunya erstanden. Die Ausstellung wurde in Argelés durchgeführt, in der Galerie Marianne im Rahmen der Veranstaltungen Chemins de la retirada, Images de la Catalogne.

Als ich im Jahre 2008 nach Beendigung einer meiner Ausstellungen in Deutschland zurück in mein Studio kam, fand ich eine Nachricht von Serge Barba vor, dass die Association Cinénmaginaire FFREEE, Ville d’Argelés, mir eine Ausstellung vorschlug, über die Thematik des Exils, im Rahmen einer der Veranstaltungen zur Erinnerung an den siebzigsten Jahrestag des Spanischen Bürgerkriegs. Unmittelbar darauf ging ich meine früheren Bilder durch und mochte sie für die Ausstellung nicht zur Verfügung stellen, sondern griff die Idee wieder auf eine neue Bilderreihe über den Rückzug zu schaffen.

Als ich diese Thematik wieder aufgriff, folgte ich den gleichen Schritten wie damals, immer beginnend mit den wesentlichen Dokumenten, sowohl graphischen als auch literarischen, um meinen emotionalen Grad zu erhöhen, den ich brauchte um ihn auf die Malerei zu übertragen. Während der Arbeit, tauchten neue Ausdrucksformen auf und ich bekam das Bedürfnis, auf schwarz und weiß zurückzugreifen, in diesem Fall, chinesische Tinte auf Papier, aber groß dimensioniert und immer in der vertikalen Ausrichtung 177 x 80 cm.

Die Sequenzen des fallenden Milizionärs Capas, in fünf Einheiten, hätten fast unendlich sein können, die Gruppen Frauen und Kinder, Menschenmassen vereint durch den gleichen Schmerz. Ich war schon versucht, die Reihe zu beenden, als sich in meinem Geiste folgendes Bild formte: die Vergrößerung einer dieser gruppierten und anonymen Gestalten - wie durch den Effekt eines Zooms –, die die Würde seiner Einzigartigkeit einforderte .

Ich führte die Bilderreihe der Portraits aus und betonte die Profile mit einem kräftigen Schwarz, so dass sich allmählich die Intensität ihrer Gesichter verlor, und in den letzten Bildern verschwindet ihre innere Physionomie fast gänzlich und verbleibt mit immer dunkler werdenden Konturen.

Ich hatte den Eindruck, dass ich während der Schaffung dieser Werke einen Rückschritt machte, um emotionaler Zeuge einer Tragödie sein zu können. Das Werk konnte für sich selber sprechen, es reichte, sich ihm zu widmen und sich von ihm treiben zu lassen, es machte mich zum Zeugen der Durchreise für diese Galerie der Menschen.

Das letzte Werk das ich schuf, um den Zyklus der Bilderreihe zu beenden, entstand nach einem Besuch der Strände des Ortes Argelés von Pilar und mir im Frühling: es war kalt, die Sonne schien nicht und der Strand war leer. Wir empfanden den Strand als klein. Ich stellte mir eine menschliche Masse vor, dunkel und kalt, nur durch einen einzigen Wächter beaufsichtigt, aber nach Art einer Säule den ganzen Schmerz dieser Masse aushaltend, damit nichts dieser Tragödie irgendwohin entfliehen konnte, wo die Hoffnung sie befreien konnte.

José M. Guerrero Medina